Jetzt wurde der Beschluss des 5. Senats des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 13.03.2020 veröffentlicht, welcher eine gewisse „Sprengkraft“ hat.
Rückblick:
Der 7. Senat des BGH hatte am 22.02.2018 geurteilt, wonach der sog. kleine Schadenersatz statt der Leistung gem. §§ 280, 281 Abs. 1 BGB nicht nicht mehr anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber nicht aufgewandeten („fiktiven“) Mängelbeseitigungskosten bemessen werden darf. Nach dieser Entscheidung kann der Besteller, der kleinen Schadensersatz gem. § 634 Nr. 4, § 280 Abs. 1 und 3, § 281 BGB verlangt, seinen Schaden nur dann anhand der Mängelbeseitigungskosten bemessen, wenn er diese tatsächlich aufgewandt hat. Begründet wurde dies u.a. mit 1) „Besonderheiten des Werkvertragsrechts“ und 2) der Gefahr einer „erheblichen Überkompensation“.Dieser geänderten Rechtsprechung möchte sich der 5. Senat nicht anschließen! Und zwar aus gewichtigen Gründen:
Zum 1. Argument:
Es ist nicht erkennbar, dass aus § 634 BGB ein eigenes (also von § 437 BGB ggf. abweichendes) Regelungskonzept entnommen werden kann, wonach sich der Ausgleich daran orientiert, ob eine Mängelbeseitigung durchgeführt wird. Denn § 437 BGB und der dieser Bestimmung nachgebildete § 634 BGB zählen die bestehenden Mängelrechte auf, indem sie jeweils auf das allgemeine (für alle Vertragstypen einheitliche) Leistungsstörungsrecht verweisen. Der Gleichlauf zwischen Kauf- und Werksvertragsrecht war erklärtes Ziel der Schuldrechtsreform, weshalb § 634 BGB in Nachbildung von § 437 BGB entstanden ist.Vielmehr sprechen schwerwiegende Argumente für die Beibehaltung der bisherigen „alten“ Rechtsprechung:Weil der Schadensersatz gem. § 437 Nr. 3 i.V.m. §§ 280, 281 BGB „statt der Leistung“ gewährt wird, kann der Gläubiger verlangen, wirtschaftlich so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wenn der Schuldner den Vertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des positiven Interesses ist der Nacherfüllungsanspruch. Der Unterschied zwischen dem kaufrechtlichen Erfüllungs- und dem Nacherfüllungsanspruch besteht im Wesentlichen darin, dass Gegenstand des Nacherfüllungsanspruchs nicht mehr die erstmalige Lieferung einer mangelfreien Kaufsache ist, sondern die Herstellung ihrer Mangelfreiheit durch Nachbesserung oder durch Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache. Infolgedessen kann der Schadensersatz anhand der Kosten für die (ausgebliebene) Nachlieferung oder Nachbesserung bestimmt werden, für die der Käufer nunmehr selbst Sorge tragen muss. Diese Kosten werden durch die Mängelbeseitigungskosten zutreffend abgebildet, ohne dass es darauf ankommt, ob sie tatsächlich aufgewendet werden.In der Gesetzesbegründung zum neuen Schuldrecht wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass sich der Schadensersatz bei einer Zuweniglieferung (90 statt gekaufter 100 Flaschen Wein) ebenso wie bei einer mangelhaften Lieferung (Auto mit defektem Navigationsgerät) jeweils nach den Ersatzbeschaffungskosten bemisst. Folglich hat der Gesetzgeber bei der Angleichung des Kaufrechts an das Werkvertragsrecht im Einklang mit der damals gefestigten Rechtsprechung zum Werkvertragsrecht nicht darauf abgestellt, ob die Mängel bereits beseitigt worden sind und ob der Käufer dies beabsichtigt. Auf die Schadensberechnung bezogene Änderungen hat der Gesetzgeber weder erwogen noch hat er sie vorgenommen; im Gegenteil baut das Gesamtkonzept der Schuldrechtsreform inhaltlich auf der bisherigen Rechtsprechung auf.Zu den Kernzielen der Schuldrechtsreform gehörte die Schaffung eines Leistungsstörungsrechts für sämtliche Vertragstypen mit dem einheitlichen Haftungstatbestand der „Pflichtverletzung“ in den §§ 280 ff. BGB. Das zweite „wesentliche Strukturmerkmal“ ist der durch das Erfordernis der Fristsetzung gesicherte Vorrang des Erfüllungsanspruchs. Sachmängel sollen vorrangig durch Nacherfüllung behoben und nur zweitrangig durch Rücktritt, Minderung oder Schadensersatz ausgeglichen werden.Das Ziel, dem Käufer mittels Einführung eines vorrangigen Nacherfüllungsanspruchs zu der versprochenen Leistung zu verhelfen und die Verkäuferhaftung zu verschärfen, würde durch die Übernahme der neuen Rechtsprechung des VII. Zivilsenats konterkariert. Denn für den Verkäufer entstünden Anreize, die Nacherfüllung nicht vorzunehmen, wenn der erst nach verweigerter oder fehlgeschlagener Nacherfüllung und nur bei einem Vertretenmüssen gewährte Anspruch auf kleinen Schadensersatz auf den mangelbedingten Minderwert oder auf tatsächlich aufgewendete Kosten beschränkt wäre. Er könnte darauf hoffen, sich bei einem Verlangen nach Schadensersatz finanziell besser zu stehen, als wenn er seiner Nacherfüllungspflicht entspricht. Sieht nämlich der Käufer von der Nachbesserung ab, muss nur der – oft geringere – Minderwert ersetzt werden, ohne dass es wie bislang entscheidend darauf ankommt, ob die Herstellung der Mangelfreiheit unverhältnismäßige Aufwendungen erfordert. Damit bliebe außer Acht, dass der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nach dem Konzept der Schuldrechtsreform den ausgebliebenen Erfüllungserfolg und nicht nur den Minderwert der Sache ausgleichen soll.
Zum 2. Argument:
Die Gefahr einer „erheblichen Überkompensation“ im Werkvertragsrecht sieht der 5. Senat als eine „in erster Linie rechtspolitische Erwägung“. Gerade im Hinblick auf die Veräußerung relativ neuer Immobilien wollte der Gesetzgeber erreichen, dass die Zuordnung zum Werkvertrags- oder Kaufrecht ihre Bedeutung verliert. Ebenfalls unscharf sind die Trennlinien zwischen Werkvertrag einerseits und Kaufvertrag mit Montageverpflichtung oder Werklieferungsvertrag (§ 650 BGB) andererseits. Auch der dem 5. Senat vorliegende Fall zeigt exemplarisch das Nebeneinander von kauf- und werkvertraglichen Pflichten: die werkvertragliche Pflicht zum Isolieren und Verputzen der Fassade des Gebäudes steht neben der kaufrechtlichen Haftung für die Feuchtigkeitserscheinungen in der Eigentumswohnung.Der Begriff der „fiktiven“ Mängelbeseitigungskosten darf in diesem Zusammenhang nicht dahingehend missverstanden werden, dass fiktive, also nicht vorhandene Schäden ersetzt werden müssten. Das wäre schon im Ansatz nicht richtig, weil das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gestört ist; die Fiktion betrifft nur die Bewertung der ausgebliebenen Leistung in Gestalt der Nacherfüllung. Im Regelfall führt die bisherige Rechtsprechung schon deshalb nicht zu unangemessenen Ergebnissen, weil der Käufer schlicht die Vorfinanzierung der Mängelbeseitigung vermeiden möchte; er kann im Übrigen auch andere anerkennenswerte Gründe dafür haben, dass er die Behebung des Mangels auf einen späteren Zeitpunkt verschieben will. Selbst die Entscheidung, von der Mängelbeseitigung ganz abzusehen, wird von der Dispositionsfreiheit des Käufers gedeckt. Er darf mit dem Mangel leben und den Wert der Leistung anders verwenden. Hierfür streitet auch der Gesichtspunkt der Praktikabilität: Denn anhand der voraussichtlich entstehenden Mängelbeseitigungskosten kann der Schadensersatz relativ verlässlich und vorhersehbar bemessen werden, während die Ermittlung des mangelbedingten Minderwerts häufig auf Schwierigkeiten stößt. Die Schadensabwicklung wird damit erheblich erleichtert und für den Rechtsverkehr vorhersehbar ausgestaltet. Das gilt umso mehr, als abrechnungs- oder vorfinanzierungsbezogene Lösungen eine Vermehrung von Prozessen zur Folge haben können, während das bislang anerkannte Schadensersatzrecht zu einer endgültigen Streitbeilegung führt.
Ausblick:
Der 7. Senat wird darlegen müssen, ob er seine Rechtsauffassung aufrechterhält. Ggf. muss der Große Senat des BGH entscheiden.
(BGH, Beschl. v. 13.03.2020 – V ZR 33/19)