Garantie der kommunalen Selbstverwaltung vs. Garantie des Instituts der freien Presse

Der Bundesgerichtshof hatte in seiner Entscheidung Crailsheimer Stadtblatt II Beurteilungsmaßstäbe für die  Interessenabwägung zwischen der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, und der Garantie des Instituts der freien Presse, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, andererseits aufgestellt.

Die Bestimmung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fordert zur Sicherung der Meinungsvielfalt die Staatsferne der Presse. Dieser Grundsatz schließt es aus, dass der Staat unmittelbar oder mittelbar Presseunternehmen beherrscht, die nicht lediglich Informationspflichten öffentlicher Stellen erfüllen. Der Staat darf sich nur in engen Grenzen auf dem Gebiet der Presse betätigen. Äußerungs- und Informationsrechte der Gemeinden finden ihre Legitimation in der staatlichen Kompetenzordnung, namentlich der Selbstverwaltungsgarantie des Grundgesetzes und der Länderverfassungen sowie der jeweiligen Gemeindeordnungen der Länder.

Die verfassungsrechtlich begründete staatliche Aufgabenzuweisung und die darin liegende Ermächtigung zur Information der Bürgerinnen und Bürger erlaubt den Kommunen nicht jegliche pressemäßige Äußerung, die irgendeinen Bezug zur öffentlichen Gemeinschaft aufweist. Die innere Grenze wird durch den erforderlichen Bezug auf die Gemeinde und ihre Aufgaben gesetzt; die äußere Grenze zieht die Garantie des Instituts der freien Presse.Kommunale Pressearbeit ist begrenzt durch das Erfordernis eines spezifischen Orts- und Aufgabenbezugs.Eine ausufernde hoheitliche Öffentlichkeitsarbeit birgt Gefahren für die Neutralität der Kommunikationsprozesse; die öffentliche Hand muss sich in Art, Frequenz und Umfang in Zurückhaltung üben, zumal staatlichen Druckschriften eine erhöhte Glaubwürdigkeit und damit ein besonderes Beeinflussungspotential zukommt.

Für die konkrete Beurteilung kommunaler Publikationen mit Blick auf das Gebot der Staatsferne der Presse sind daher Art und Inhalt der veröffentlichten Beiträge auf ihre Neutralität sowie Zugehörigkeit zum Aufgabenbereich der Gemeinde zu untersuchen und ist unter Einbeziehung des äußeren Erscheinungsbilds eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen.

Keinesfalls darf eine kommunale Publikation den Lesern eine Fülle von Informationen bieten, die den Erwerb einer Zeitung – jedenfalls subjektiv – entbehrlich macht. Je deutlicher – in Quantität und Qualität – ein erweitertes Amtsblatt Themen besetzt, derentwegen Zeitungen gekauft werden, desto wahrscheinlicher ist der Leserverlust bei der privaten Presse und eine damit einhergehende, dem Institut der freien Presse zuwiderlaufende Meinungsbildung durch den Staat von oben nach unten.

Bei der Beurteilung des Gesamtcharakters des Presseerzeugnisses sind auch die optische Gestaltung der Publikation, redaktionelle Elemente der meinungsbildenden Presse, wie Glossen, Kommentare oder Interviews und die Frequenz des Vertriebs zu berücksichtigen. Allein die Verwendung pressemäßiger Darstellungselemente und eine regelmäßige Erscheinungsweise führen zwar nicht automatisch zu einer Verletzung des Gebots der Staatsferne der Presse. Die Grenze wird aber überschritten, wenn das Druckwerk nicht mehr als staatliche Publikation erkennbar ist. Erfolgt die Verteilung kostenlos, erhöht sich die Gefahr einer Substitution privater Presse; auch das ist zu berücksichtigen. 

Das Landgericht München hat jetzt diese Grundsätze auf ein kommunales Internetportal übertragen. 

Den zulässigen Bereich der Berichterstattung überschreitet das Portal www.muenchen.de in einer Gesamtschau aus folgenden Gründen: Der Internetauftritt des Portals biete in der zur Entscheidung gestellten Ausgestaltung den Lesern eine Fülle von Informationen, die den Erwerb einer Zeitung oder Zeitschrift – jedenfalls subjektiv – entbehrlich mache. Es werden in Quantität und Qualität deutlich Themen besetzt, derentwegen Zeitungen und Zeitschriften gekauft werden. Die Landeshauptstadt München beschränke sich hier nicht auf Sachinformationen. In zahlreichen Beiträgen werde über das gesellschaftliche Leben in München berichtet, sie beträfen sämtlich keine gemeindlichen Aufgaben oder zumindest Aktivitäten und bewegten sich nicht mehr innerhalb der zulässigen Themenbereiche, so das Gericht. Auch im Layout bediene sich www.muenchen.de einer derart (boulevard-) pressemäßigen Illustration mit Überschriften, Zwischenüberschriften, Bildern, Zitaten und unterhaltsamem Text, dass die verfassungsmäßigen Zulässigkeitsgrenzen überschritten seien. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig, da gegen sie Berufung eingelegt wurde. 

Fazit: Die öffentliche Verwaltung sollte zumindest in Hinblick auf diese Entscheidungen ihren Internetauftritt auf ihre eventuelle Wettbewerbswidrigkeit fachkundig überprüfen, um kostenintensive Abmahnungen zu vermeiden.

BGH, Urteil vom 20.12.2018, I ZR 112/17
LG München, Urteil vom 17.11.2020, 33 O 16274/19