Aus für fiktive Mängelbeseitigungskosten (Rechtsprechungsänderung)

Der Bundesgerichtshof nahm jetzt einen Rechtsstreit über mangelhafte Natursteinplatten zum Anlass, seine Rechtsprechung wie folgt zu ändern:
1. Entgegen seiner bisherigen Auffassung kann die Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten nicht (mehr) damit begründet werden, dass der Mangel selbst der Vermögensschaden in Höhe dieser Kosten sei. Dies gilt auch im Verhältnis zum Architekten. Ein Mangel des Werks ist zunächst nur ein Leistungsdefizit, weil das Werk hinter der geschuldeten Leistung zurückbleibt. Eine Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten bildet das Leistungsdefizit im Werkvertragsrecht – insbesondere im Baurecht – nicht zutreffend ab. Vielmehr führt sie häufig zu einer Überkompensation und damit einer nicht gerechtfertigten Bereicherung des Bestellers.
2. Dem Besteller bleibt jedoch eine im Einzelfall unter Umständen einfachere Möglichkeit, auch ohne eine Vermögensbilanz seinen Vermögensschaden darzutun und zu bemessen, wenn er den Mangel nicht beseitigen lässt. Denn er kann sich auf die Betrachtung des mangelhaften Werks selbst im Vergleich zu dem geschuldeten (also mangelfreien) Werk beschränken und aus einer Störung des werkvertraglichen Äquivalenzverhältnisses einen Anspruch ableiten. Er kann im Wege einer Vermögensbilanz die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert der durch das Werk geschaffenen oder bearbeiteten, im Eigentum des Bestellers stehenden Sache ohne Mangel und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel ermittelt.
Hat der Besteller die durch das Werk geschaffene oder bearbeitete Sache veräußert, ohne dass eine Mängelbeseitigung vorgenommen wurde, kann er den Schaden nach dem konkreten Mindererlös wegen des Mangels der Sache bemessen.
Der Schaden kann auch in der Weise bemessen werden, dass ausgehend von der für das Werk vereinbarten Vergütung der Minderwert des Werks wegen des (nicht beseitigten) Mangels geschätzt wird. Maßstab ist danach die durch den Mangel des Werks erfolgte Störung des Äquivalenzverhältnisses.
3. Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel beseitigen lässt, kann die von ihm aufgewandten Mängelbeseitigungskosten als Schaden ersetzt verlangen. Vor Begleichung der Kosten kann der Besteller Befreiung von den zur Mängelbeseitigung eingegangenen Verbindlichkeiten verlangen. Dies gilt auch im Verhältnis zum Architekten.
Darüber hinaus hat der Besteller, der Schadensersatz statt der Leistung in Form des sog. kleinen Schadensersatzes verlangt hat, grundsätzlich weiterhin das Recht, Vorschuss zu fordern, wenn er den Mangel beseitigen will.
Nach Sinn und Zweck des Gesetzes ist es gerechtfertigt, dem Besteller den Vorschussanspruch auch dann noch zuzubilligen, wenn er bereits Schadensersatz statt der Leistung in Form des kleinen Schadensersatzes verlangt hat, allerdings ohne die Möglichkeit, wieder auf den Nacherfüllungsanspruch zurückzukommen.
4. Lässt der Besteller den Mangel des Bauwerks nicht beseitigen, kann er seinen Schaden gegenüber dem Architekten ebenso im Wege einer Vermögensbilanz nach dem Minderwert des Bauwerks im Vergleich zu dem hypothetischen Wert des Bauwerks bei mangelfreier Architektenleistung bemessen oder gegebenenfalls – bei Veräußerung des Objekts – nach dem konkreten Mindererlös.
Hat der durch die mangelhafte Architektenleistung verursachte Mangel des Bauwerks zur Folge, dass eine Störung des Äquivalenzverhältnisses des Bauvertrags vorliegt, kann der Besteller stattdessen seinen Schaden auch in der Weise bemessen, dass er ausgehend von der mit dem Bauunternehmer vereinbarten Vergütung den mangelbedingten Minderwert des Werks des Bauunternehmers ermittelt.
5. Darüber hinaus hat der Besteller wegen Planungs- oder Überwachungsfehlern, die sich im Bauwerk bereits verwirklicht haben, einen Schadensersatzanspruch auf Vorfinanzierung in Form der vorherigen Zahlung eines zweckgebundenen und abzurechnenden Betrags gegen den Architekten.
Fazit: Da für die Schadensbemessung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend ist, muss das Urteil auf alle noch nicht abgeschlossenen Verfahren, welchen ab dem Januar 2002 geschlossene Werkverträge zugrunde liegen, angewendet werden, in denen ein Besteller seinen Schadensersatz für ein mangelhaftes Werk nach den fiktiven Mangelbeseitigungskosten berechnet. Folglich müssen die Gerichte solche Klagen zurückweisen, sofern sie nicht umgestellt werden.
BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17
Matthias Matzka

Rechtsanwalt für öff. u. priv. Baurecht
Rechtsanwalt für Architekten- und Ingenieurrecht
Rechtsanwalt für Immobilienrecht
Rechtsanwalt für Verwaltungsrecht