Am 22.07.2004 hat sich das Bundesverwaltungsgericht erneut mit dem Begriff der Großflächigkeit auseinander gesetzt.
Unter Berufung auf seine bisherige Rechtsprechung geht es nach wie vor davon aus, dass die Schwelle zur Großflächigkeit nicht wesentlich unter 700 m², aber auch nicht wesentlich darüber liegt. Dabei handelt es sich nicht um eine starre Grenzlinie, sondern um eine Orientierungshilfe, die geeignet ist, die ihr zugedachte Abgrenzungsfunktion zu erfüllen. Der Richtwert lässt Raum für eine flexible Handhabung. Eine Überschreitung dieses Richtwertes zwingt selbst dann, wenn sie eine Größenordnung von bis zu 100 m² erreichen, nicht den Schluss, dass das Merkmal der Großflächigkeit erfüllt ist. Zu einer weiteren Modifikation seiner Rechtsprechung sieht das Gericht keinen Anlass, solange der Verordnungsgeber (!) an dem Konzept festhält, das der Vermutungsregel des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO zugrunde liegt. Ein Heraufsetzen der Richtgröße würde der Systematik des § 11 Abs. 3 BauNVO, der auf zwei Tatbestandsmerkmale, die Großflächigkeit und die Vermutungsregelung, ruht, zuwider laufen.
Erweist sich ein Einzelhandelsbetrieb als großflächig im Sinne § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO, so bedeutet dies nicht automatisch, dass er in ein Kern- oder Sondergebiet zu verweisen ist. Hinzu kommen muss, dass er mit nachteiligen Auswirkungen im Sinne § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO verbunden ist. Dies ist zwar nach § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO in der Regel anzunehmen, wenn die Geschossfläche 1.200 m² überschreitet. § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO stellt jedoch klar, dass diese Vermutung widerlegt werden kann. Ob dies gelingt, hängt maßgeblich davon ab, welche Waren angeboten werden, auf welchen Einzugsbereich der Einzelhandelsbetrieb angelegt ist und in welchem Umfang zusätzlicher Verkehr hervorgerufen wird. Die Überschreitung der Geschossflächengrenze von 1.200 m² steht nicht zwangsläufig der Annahme entgegen, dass es sich um einen Einzelhandelsbetrieb handelt, der der verbrauchernahen Versorgung dient. Entscheidend ist, ob der Betrieb über den Nahbereich hinaus wirkt und dadurch, dass er unter Gefährdung funktionsgerecht gewachsener städtebaulicher Strukturen weiträumig Kaufkraft abzieht, auch in weiter entfernten Wohngebieten die Gefahr heraufbeschwört, dass Geschäfte schließen, auf die insbesondere nicht motorisierte Bevölkerungsgruppen angewiesen sind. Nachteilige Wirkungen dieser Art werden noch verstärkt, wenn der Betrieb in erheblichem Umfang zusätzlichen gebietsfremden Verkehr auslöst. Je deutlicher die Regelgrenze von 1.200 m² Geschossfläche überschritten ist, mit desto größerem Gewicht kommt die Vermutungswirkung des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO zum tragen. Dabei kann allerdings die jeweilige Siedlungsstruktur nicht außer Acht bleiben. Je größer die Gemeinde oder der Ortsteil ist, in dem der Einzelhandelsbetrieb angesiedelt werden soll, desto eher ist die Annahme gerechtfertigt, dass sich die potentiellen negativen städtebaulichen Folgen relativieren.
Ausdrücklich weist das Gericht darauf hin, dass auf der Grundlage der Stellungnahme der Arbeitsgruppe „Strukturwandel im Lebensmitteleinzelhandel und § 11 Abs. 3 BauNVO“ am 30. April 2002 unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls sich sachgerechte Standortentscheidungen für den Lebensmitteleinzelhandel treffen lassen, ohne dass der Hebel beim Merkmal der Großflächigkeit angesetzt werden muss.
Stand: 24. September 2004