Der EuGH hat mit Urteil vom 18.01.2022, Az.: C-261/20 (Thelen Technopark Berlin) entschieden, dass deutsche Gerichte die Regelungen über die Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren (HOAI) trotz Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie anwenden dürfen, und damit den Streit unter den Gerichten hierüber beendet (vgl. Beitrag vom 15.08.2019). Grundsätzlich sind nationale Gerichte verpflichtet, wegen des Vorrangs des Unionsrechts, europarechtswidrige Bestimmungen des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis heraus nicht anzuwenden. Dies gilt aber nicht, wenn die europarechtlichen Vorgaben keine unmittelbare Wirkung haben.
Die Anwendung von Art. 15 Abs. 1 der Dienstleistungsrichtlinie würde dem Kläger außerdem das Recht nehmen, ein Honorar in der Höhe einzufordern, die dem in den fraglichen nationalen Vorschriften vorgesehenen Mindestsatz entspricht. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann dieser Bestimmung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits zwischen Privaten eine solche Wirkung nicht zuerkannt werden.
Fazit: Architekten und Ingenieure können abweichend vom Vertrag den Mindestsatz verlangen, sofern die Verträge vor Inkrafttreten der HOAI 2021 am 1. Januar 2021 geschlossen wurden.
Der EuGH hat in der Entscheidung zwar darauf hingewiesen, dass die durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigte Partei sich auf die Rechtsprechung des EuGH berufen kann, um gegebenenfalls Ersatz eines durch diese Unvereinbarkeit entstandenen Schadens zu erlangen. Danach muss jeder Mitgliedstaat sicherstellen, dass dem Einzelnen der Schaden ersetzt wird, der ihm durch die Nichtbeachtung des Unionsrechts entstanden ist. Ob allerdings Schadensersatzklagen gegen den Staat erfolgversprechend sind, bedarf der Einzelfallbetrachtung.